Das OLG Hamm hat entschieden, dass einem Enkel ein Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen kann, wenn ein Großvater nur seinen Sohn enterbt hat und sein Vermögen anderen Erben vererbt.
Es ging in dem Fall um einen Großvater, der im Jahr 2011 verstorben war. Er hatte zwei Söhne. Der ältere Sohn war bereits kinderlos im Jahre 1990 vorverstorben. Der jüngere Sohn lebte zum Todestag des Großvaters noch und hatte seinerseits einen Sohn, den Enkel des jetzt verstorbenen Großvaters. Der Großvater hatte seine beiden Söhne bereits in einem im Jahr 1989 errichteten Testament enterbt. Zu seinen Erben bestimmte er damals in dem Testament seine damalige Lebensgefährtin sowie seinen Bruder. Entsprechend dem Testament teilten die Erben nach dem Tod des Großvaters den Nachlass unter sich auf.
Im Jahre 2014 machte der Enkel Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Bruder des Großvaters und dessen Lebensgefährtin geltend. Er trug zur Begründung vor, dass er der Enkel des Erblassers sei. Er sei damit der allein verbliebene gesetzliche Erbe des Großvaters. Folglich stehe ihm die Hälfte des Nachlasses als Pflichtteil zu.
Die Erben wehrten sich verständlicherweise gegen die Ansprüche. Sie bestritten die Vaterschaft des enterbten Sohnes. Sie sahen die vom Enkel vorgelegte Geburtsurkunde für keinen ausreichenden Nachweis an. Außerdem haben sie geltend gemacht, dass sie den Nachlass verbraucht bzw. weitergegeben hätten.
Das OLG Hamm sah dagegen den Enkel als pflichtteilsberechtigt an. Er hat nach Ansicht des Gerichts nachgewiesen, dass er der Sohn des jüngeren Sohnes des Erblassers und damit dessen Enkel ist. Grundlage der Pflichtteilsberechtigung ist die rechtliche Abstammung des Enkels von seinem Vater. Diese hat der Enkel durch die vorgelegte Geburtsurkunde nachgewiesen. Nach dem Inhalt dieser Urkunde ist der Kläger das Kind des jüngeren Sohns des Erblassers. Dass der Kläger ein nichteheliches Kind ist, ist rechtlich unerheblich. Eine Unrichtigkeit dieser Geburtsurkunde hätten die Beklagten zu beweisen, was ihnen aber nicht gelungen war.
Das vom Großvater errichtete Testament hat den Enkel durch die Erbeinsetzung seines Bruders und seiner Lebensgefährtin von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Als entfernterer Abkömmling des Großvaters ist er nunmehr pflichtteilsberechtigt. Eine dem Enkel vorgehende Pflichtteilsberechtigung seines Vaters ist ebenfalls nicht gegeben. Diesem hatte der Großvater neben dem Erbrecht auch den Pflichtteil entzogen. Das folgt aus der testamentarisch verfügten Enterbung, die aufgrund der seinerzeit vorliegenden Entziehungsgründe auch wirksam ist.
Im Gegensatz zu seinem Vater hat der Enkel sein Pflichtteilsrecht nicht verloren. Der Großvater hatte in seinem Testament nur angeordnet, seinen Söhnen, nicht aber auch auf deren Nachkommen den Pflichtteil zu entziehen. Bezogen auf die Person des Enkels ist zudem kein Grund für eine Entziehung des Pflichtteils ersichtlich und vom Großvater entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auch testamentarisch nicht verfügt worden.
Da der beklagte Bruder des Großvaters – neben der Lebensgefährtin -dem Enkel gegenüber den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch als Gesamtschuldner schuldet, ist er in Höhe des gesamten Anspruchs zur Zahlung zu verurteilen. Darauf, dass der Nachlass nicht mehr oder nur noch zum Teil vorhanden ist, kann sich der Bruder nicht berufen. Nach der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hat er den Pflichtteilsanspruch mit seinem gesamten Vermögen und nicht nur mit dem übernommenen Nachlass zu erfüllen.