Die Finanzverwaltung sammelt seit Jahren eine Vielzahl von elektronischen Daten ein, die für das Besteuerungsverfahren relevant sind. Neben persönlichen Daten sind das u. a. Lohnsteuerdaten, Rentenbezüge oder bezahlte Sozialversicherungen. Das FG Münster hatte jetzt die Frage zu klären, ob ein Steuerpflichtiger Steuern objektiv verkürzt, wenn er pflichtwidrig keine Steuererklärung abgegeben hat, dem Finanzamt aber alle erforderlichen Informationen in Form elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen vorgelegen haben.

Die Kläger in dem Verfahren sind zusammenveranlagte Eheleute. Da bis einschließlich 2008 lediglich der Ehemann Arbeitslohn bezog, hatte das Finanzamt den Fall als sog. Antragsveranlagung gespeichert. Ab 2009 erzielte auch die Ehefrau Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Der Lohnsteuerabzug erfolgte bei den Klägern nach den Steuerklassen III und V. Die von den Arbeitgebern elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen wurden im EDV-System Finanzamts unter der Steuernummer der Kläger erfasst. Da der Fall weiterhin falsch als Antragsveranlagung gespeichert war, forderte das Finanzamt die Kläger zunächst nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auf und die Kläger gaben auch keine Erklärungen ab.

Nachdem dem Finanzamt aufgefallen war, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung vorlagen, erließ es im Jahr 2018 für die Streitjahre 2009 und 2010 Schätzungsbescheide. Das Finanzamt ging von einer verlängerten Festsetzungsfrist wegen vollendeter Steuerhinterziehung aus. Die Datenverarbeitungsprogramme der Finanzverwaltung hätten es in den Streitjahren noch nicht ermöglicht, aufgrund der übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen auf das Vorliegen einer Pflichtveranlagung zu schließen. Eine manuelle Überprüfung sei aufgrund der Vielzahl der Fälle tatsächlich unmöglich gewesen. Im Übrigen hätten es die Kläger vorsätzlich unterlassen, Einkommensteuererklärungen abzugeben.

Das FG Münster gab der Klage der Steuerpflichtigen statt. Bei Erlass der Bescheide im Jahr 2018 ist für die Streitjahre 2009 und 2010 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen gewesen. Die Frist hat sich nicht auf zehn bzw. fünf Jahre verlängert, weil bereits objektiv weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.

Das Steueraufkommen ist nicht gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesentlichen Umstände informiert sind. Allein die Verletzung von Erklärungspflichten reicht nicht aus, um den objektiven Verkürzungstatbestand zu verwirklichen. Dem Finanzamt sind aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen alle maßgeblichen Umstände bekannt gewesen.

Der Senat hat die Revision zum BFH zugelassen, da zu der streitigen Frage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.