So oder so ähnlich könnte man die Entscheidungsfindung des BFH in den letzten Monaten zum Thema steuerliche Zinsen zusammenfassen. Innerhalb kürzester Zeit urteilte der BFH über den steuerlichen Zinssatz mit zwei völlig entgegengesetzten Ergebnissen. Man muss das nicht alles verstehen. Aber man kann mal versuchen, eine Begründung zu finden.

Seit 1961 ist der Zinssatz für Steuernachzahlungen und Steuererstattungen mit 0,5 Prozent pro Monat gesetzlich fixiert. Aufs Jahr gerechnet fordert der Fiskus also bei Nachzahlungen sechs Prozent Zinsen. In früheren Jahren gab es hierzu keinerlei Diskussion. Seit aber die Zinsen an den Finanzmärkten im Keller sind, wachsen die Zweifel, ob das steuerliche Zinsniveau noch realitätsgerecht und mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist.

Die Zinsen wurden eingeführt, um Liquiditätsvorteile auszugleichen, die zwischen der Steuerentstehung und Steuerfestsetzung anfallen. Zugleich sollten sie den Zinsnachteil des Fiskus ausgleichen, der sein Geld erst später bekommt und dem damit Gelder für andere Ausgaben zeitlich vorenthalten wurden. Wenn aber die Zinsen aus der verspäteten Steuerzahlung gegen null gehen, und sich der Staat an den Kapitalmärkten fast zum Null-Zins refinanzieren kann, zieht diese Begründung nicht mehr.

Ende Februar diesen Jahres urteilte der BFH erstmals zur Frage der Angemessenheit der Steuerzinsen. Die damals ergangene Entscheidung war aus Sicht Vieler enttäuschend. Der BFH hat sich damals nicht wirklich mit dem Zinsniveau und den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine realitäts- und gleichheitsgerechte Besteuerung auseinandergesetzt. Er hat stattdessen eher eine Lesestunde abgehalten und aus dem Monatsbericht der Bundesbank zitiert.

Die wiederum hatte im damals maßgeblichen Zeitraum 2013 eine Zinsbandbreite zwischen 0,15 Prozent und 14,70 Prozent ermittelt. Der BFH sah die sechs Prozent Steuerzinsen innerhalb dieser Bandbreite. Der Gesetzgeber hätte folglich die ihm zustehende Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis nicht verlassen. Der BFH hat sich nicht darum gekümmert, dass die Bandbreite der überwiegenden Zahl vergebener Kredite in 2013 zwischen 0,15 Prozent und 1,8 Prozent gelegen hatte. Viele Betrachter waren der Meinung, der BFH wollte sich um die eigentliche Entscheidung drücken.

Die Besinnung auf seine eigentliche Funktion kam dem BFH offenbar dann Mitte Mai. Ganz klar sagt hier der BFH, dass er die gesetzliche Zinshöhe in den Jahren ab 2015 für verfassungswidrig hält. Und der Sinneswandel liegt sicherlich nicht an der Jahreszahl. Der realitätsferne Zinssatz mit sechs Prozent verletzt nach neuerer Erkenntnis den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes und das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot. Ein derart hoher Zins wirkt in einer strukturellen Niedrigzinsphase wie ein rechtsgrundloser Steuerzuschlag.

Deutlicher könnte die Kehrtwende des höchsten deutschen Finanzgerichts nicht ausfallen. Eine nicht ganz ernst zu nehmende Begründung könnte sein, dass zwei unterschiedliche Senate des BFH entschieden haben. Während der 3. Senat den gesetzlichen Zinssatz zuvor billigte, hat ihn der 9. Senat gekippt. Für derart diametral abweichende Standpunkte hat der BFH eigentlich ein Selbstreinigungssystem, den sog. Großen Senat. Diese übergeordnete Instanz wird angerufen, wenn sich zwei Senate mit ihrer Ansicht in die Quere kommen.

Das Prozedere konnte dieses Mal aber nicht angewendet werden. Zum einen ging es faktisch doch um zwei unterschiedliche Steuerjahre, auch wenn das augenscheinlich keinen Unterschied machen sollte. Da die einzelnen Senate den Großen Senat offenkundig scheuen wie der Teufel das Weihwasser, kann man aus deren Sicht sicher anbringen, dass sich die Niedrigzinsphase im Lauf der Jahre (immerhin 2013 bis 2015!) weiter verfestigt hat. Das ist aus deren Sicht wohl schon Begründung genug.

Und dann kann man noch einen Formalismus bemühen. Die beiden Urteile kamen in zwei unterschiedlichen Verfahrensarten zum BFH. Das erste ablehnende Urteil war ein sog. Hauptsacheverfahren. Dies bedeutet, dass der BFH in einem solchen Fall abschließend und definitiv urteilen muss. Im zweiten Verfahren ging es dagegen „nur“ um einen einstweiligen Rechtsschutz. Der Kläger in diesem Verfahren hatte die sog. Aussetzung der Vollziehung beantragt, aber nicht zugesprochen bekommen. Er hatte deshalb parallel zum eigentlichen Hauptsacheverfahren einstweiligen Rechtsschutz beim BFH beantragt.

In diesem, quasi abgekürzten Verfahren, um den einstweiligen Rechtsschutz wird vom BFH nur eine summarische Prüfung der Rechtslage vorgenommen. Wenn danach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, darf das Gericht dessen Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer zugrundeliegenden Norm sein.

Der 9. Senat des BFH hat das verfassungsrechtliche Schicksal der Höhe der Zinsen also nur vertagt und in das Hauptsacheverfahren verschoben. In diesem Verfahren geht der Schwarze Peter wieder an das Fachgericht zurück. Dieses FG muss aus seiner Sicht eine endgültige Entscheidung treffen. Dabei hat das FG keine eigene Verwerfungskompetenz. Hält es die Höhe der Zinsen für verfassungswidrig, muss es das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des BVerfG einholen. Der BFH hat sich somit ganz einfach den leichteren Weg ausgesucht, und faktisch doch wieder „gekniffen“.

Wie das Verfahren dann dereinst vor dem BVerfG weitergeht, lässt sich nicht absehen. Das Gericht hat kürzlich in der Frage der Grundsteuer erst bewiesen, notfalls auch von seiner Verwerfungskompetenz Gebrauch zu machen. Aus unserer Sicht wäre der Gesetzgeber deshalb gut beraten, selbst aktiv zu werden. Man könnte sich ein Beispiel am Zivilrecht nehmen. Dort werden Zinsen am allgemeinen Zinsniveau ausgerichtet. Aber für eine solche proaktive Tätigkeit müsste sich „Mutti“ ja bewegen. Und das ist durchaus problematisch.