Dem Umsatzsteuerrecht in Deutschland eilt der Ruf voraus, zu den kompliziertesten Regelungen im Steuerrecht zu gehören. Als ob das nicht schon genug wäre, hat der EuGH vor kurzem völlig überraschend eine Erweiterung dieser Komplexität angestoßen. Es geht dabei im Wesentlichen um die Frage, wann zeitlich der Vorsteuerabzug beim Empfänger der Leistung erfolgen darf.

Die Entstehung der Umsatzsteuerschuld wird in Deutschland exakt geregelt. Zu welchem Zeitpunkt aber das Recht auf den Vorsteuerabzug entsteht, regelt das deutsche UStG dagegen nicht so ganz genau. Nach derzeitiger Auffassung der Finanzverwaltung entsteht das Vorsteuerabzugsrecht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Wesentliche Kriterien sind die Leistungsausführung und der Empfang der Rechnung. Auf die Zahlung kommt es nicht an, soweit es sich nicht um eine Anzahlung handelt. Und der Abzug ist unabhängig von der Umsatz-Besteuerung des Leistenden.

Und genau da setzt der EuGH an. Nach Unionsrecht entsteht nämlich das Recht auf Vorsteuerabzug gleichzeitig mit der Verpflichtung für die abzuführende Umsatzsteuer. Dies war der Ausgangspunkt für die Entscheidung des EuGHs, und zwar in einem Fall, in dem Leistender und Leistungsempfänger nach dem Grundsatz der Ist-Versteuerung besteuert wurden.

Unionsrechtlich hat der Vorsteuerabzug mit Zahlung zu erfolgen. Der EuGH stellt eindeutig klar, dass der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers nach EU-Recht dann entsteht, wenn die Verpflichtung auf die fällige Umsatzsteuer entsteht. Das war im entschiedenen Fall aufgrund der Ist-Versteuerung des Leistenden der Zeitpunkt der Zahlung. Der EuGH stellt umfassend klar, dass der EU-Gesetzgeber den Zeitpunkt der Entstehung des Vorsteueranspruchs gerade an die (durch die Ist-Versteuerung veränderliche) Entstehung des Steueranspruchs geknüpft hat, nicht aber an die Leistungsausführung. Hierin liegt der eindeutige Dissens zum deutschen UStG.

Dieses Urteil kann für alle Unternehmer relevant werden. Es betrifft ganz offenkundig alle Leistungsempfänger, und nicht nur bei der Ist-Versteuerung. Derzeit ist für die Leistungsempfänger nicht erkennbar, wie der Leistende seinerseits seine Umsatzsteuer versteuert. Das wäre aber nach Ansicht des EuGHs das entscheidende Kriterium.

Es bleibt abzuwarten, wann Finanzverwaltung und Gesetzgeber reagieren. Damit künftig eine unionsrechtskonforme Besteuerung erfolgen kann, braucht es zwingend einen Hinweis auf die Ist-Versteuerung des Leistenden in dessen Rechnungen. Nur so könnten Leistungsempfänger überhaupt erkennen, ob der Leistende als Ist-Versteuerer auftritt. Denn danach richtet sich dann der zutreffende Zeitpunkt für den Vorsteuerabzug. Bis zu einer Änderung von Gesetz oder Anwendungserlass können Unternehmer sich auf die bestehenden Regelungen des UStAE berufen.